Fragen im Antwort-Wahl-Verfahren, auch bekannt als Multiple-Choice-Fragen (MC-Fragen), sind ein gängiges Prüfungsformat, das jedoch spezifischen rechtlichen und didaktischen Anforderungen unterliegt.
Nach der Prüfungsverfahrensordnung (PVO) der Technischen Hochschule Lübeck vom Stand vom 16. Juli 2022 sind Multiple-Choice-Klausuren möglich (§10 Satz 7):
In geeigneten Fällen kann die Klausur ganz oder teilweise im Antwort-Wahl-Verfahren (Multiple-Choice-Klausur) durchgeführt werden. In Multiple-Choice-Klausuren soll die oder der Studierende nachweisen, dass sie oder er in begrenzter Zeit und mit definierten Hilfsmitteln mit den gängigen Methoden des jeweiligen Moduls Aufgaben und Fragestellungen bearbeiten kann. Die Mindestdauer soll, wenn dies die einzige Prüfungsleistung in einem Modul ist, 60 Minuten nicht unterschreiten. Hinweisen der Prüfungsausschüsse zur rechtlich korrekten Durchführung und Bewertung von Prüfungen im Antwort-Auswahlverfahren soll gefolgt werden. (PVO Änderung von 2022)
Neben den Regelungen der Studien- und Prüfungsordnungen und der PVO und etwaigen Hinweisen der Prüfungsausschüsse (Stand Anfang 2025: es gibt auf Ebene der Prüfungsausschüsse derzeit keine Hinweise) gilt es, die gängige Rechtsprechung zu beachten. Nachfolgend werden die wichtigsten Regeln zusammengefasst, die bei der Erstellung und Bewertung von MC-Fragen in Hochschulprüfungen zu beachten sind, basierend auf der deutschen Rechtsprechung (insbesondere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte):
Zunächst müssen allgemeine rechtliche Anforderungen beachtet werden.
Gleichbehandlung der Prüflinge: MC-Fragen müssen allen Prüflingen gleiche Chancen bieten. Dies setzt voraus, dass die Fragen klar formuliert und eindeutig beantwortbar sind (Rechtsgrundlage: Grundsatz der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG).
Objektivität und Nachvollziehbarkeit der Bewertung: Die Bewertung muss transparent und objektiv erfolgen. Dies erfordert insbesondere eine klare Festlegung der richtigen Antwortoptionen und die Möglichkeit, die Bewertungsmaßstäbe nachträglich zu überprüfen (Rechtsgrundlage: Rechtsstaatliches Willkürverbot (Art. 20 Abs. 3 GG)).
Anpassung an die Prüfungsordnung: Die Prüfungsordnung der Hochschule muss die Verwendung von MC-Fragen explizit zulassen oder zumindest nicht ausschließen. Vorgaben zur Gewichtung und zum Bewertungsverfahren sind ebenfalls zu beachten.
Ich finde in der PVO keine Vorgaben zur Gewichtung und zum Bewertungsverfahren. Sonderregeln bestehen bei Portfolio-Prüfungen. Die einzelnen Studien- und Prüfungsordnungen sollen regeln, wie die Gewichtung aussieht, wenn ein Modul aus mehreren Prüfungsleistungen besteht.
Bei der Erstellung von MC-Fragen müssen neben den allgemeinen rechtlichen Anforderungen besondere Grundsätze beachtet werden, die sich aus wegweisenden Urteilen in der Rechtspraxis in Deutschland ergeben haben:
Eindeutigkeit der Fragestellung: Die Frage muss so formuliert sein, dass sie nur eine klare und nachvollziehbare Interpretation zulässt. Beispiel: Vermeidung von Doppeldeutigkeiten, impliziten Annahmen oder unpräzisen Formulierungen.
Eindeutigkeit der Antwortmöglichkeiten: Die Antwortoptionen müssen eindeutig und plausibel sein. Ablenkungsantworten („Distraktoren“) dürfen nicht irreführend oder falsch begründet sein. Hinweis: Distraktoren müssen sachlich und logisch falsch sein, aber nicht willkürlich.
Prüfungsrelevanz und Kompetenzbezug: Die Fragen müssen sich auf den Prüfungsstoff beziehen und zur Überprüfung der geforderten Kompetenzen geeignet sein. Reines Faktenwissen sollte nicht im Vordergrund stehen, wenn Kompetenzen wie Analyse oder Problemlösung geprüft werden sollen.
Formulierung ohne Benachteiligung: Fragen dürfen keine sprachliche oder inhaltliche Benachteiligung bestimmter Gruppen enthalten (z. B. geschlechtergerechte Sprache, keine kulturellen Vorannahmen).
Weiterhin bestehen bestimmte Anforderungen an die Bewertung von MC-Fragen.
Korrektheit und Überprüfbarkeit: Die richtigen Antworten müssen im Vorfeld verbindlich festgelegt werden. Fehler in der Lösungsvorgabe können zu einer nachträglichen Aufhebung der Bewertung führen.
Berücksichtigung fehlerhafter Fragen: Sind einzelne Fragen unklar, fehlerhaft oder nicht prüfungsrelevant, dürfen sie bei der Bewertung nicht zum Nachteil der Prüflinge berücksichtigt werden.
Rechtsfolge: Die betreffenden Fragen werden aus der Wertung genommen oder alle Antworten werden als richtig gewertet.
Angemessene Gewichtung: Jede Frage muss in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtnote stehen. Fragen mit besonders hohem Schwierigkeitsgrad sollten nicht unverhältnismäßig stark in die Bewertung einfließen.
Werden MC-Fragen so gestellt, dass immer nur eine Antwortoption richtig ist und wird dies in der Aufgabenstellung klar kommuniziert, ist die Bewertung unstrittig: Es gibt entweder einen Punkt, wenn die richtige Antwort gewählt wurde oder 0 Punkte, wenn eine falsche Antwort gewählt wurde. Technisch ist das so umzusetzen, dass nur eine Antwort auswählbar ist, beispielweise mit dem Fragetyp "Multiple Choice" in Kombination mit "Nur eine Antwort erlauben".
Bei Aufgaben mit Mehrfachantworten, von denen mehrere richtig sind, ist dagegen Folgendes zu beachten:
Strafpunkte (Maluspunkte): Die Vergabe von Strafpunkten für falsche Antworten ist laut gängiger Rechtsprechung nicht zulässig, da dies eine unverhältnismäßige Sanktion darstelle und den Grundsatz der Chancengleichheit verletzen könne. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Prüflinge durch die Angst vor Punktverlust davon abgehalten werden könnten, ihr Wissen vollständig darzulegen.
Vergibt man bei Aufgaben mit Mehrfachantworten allerdings keine Strafpunkte für falsche Antworten, lohnt sich häufig das reine Raten oder das systematische Ankreuzen aller Antwortoptionen. Auch das ist zu vermeiden. Aufgaben mit Mehrfachantworten, bei denen korrekte Antwortoptionen mit Teilpunkten und falsche mit negativen Teilpunkten versehen werden, ist daher nicht empfehlenswert.
Dagegen wird eine klare Zuordnung von Punkten nur bei vollständig korrekten Antworten ("Alles-oder-Nichts-Prinzip") in der Rechtspraxis nicht beanstandet. Allerdings läuft das auf eine strenge Bewertung hinaus, die z. B. Prüflingen mit wenig wissen, so gut wie keine Chance gibt und Flüchtigkeitsfehler übermäßig bestraft. Daher sollte nicht die gesamte Klausur auf solchen Fragen aufbauen, um eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse zu vermeiden. Schließlich kommt es auf den individuellen Fall der Fragenkonstruktion an, wann nur eine exakte Kombination von bestimmten richtigen Antwortoptionen tatsächlich belegen kann, dass fachspezifische Konzepte verstanden werden oder eben nicht.
Unabhängig vom gewählten Modell muss das Bewertungsverfahren den Prüflingen vor der Prüfung klar und verständlich kommuniziert werden. Die Studierenden sollten genau wissen, wie ihre Antworten bewertet werden und welche Konsequenzen falsche oder fehlende Antworten haben.
Schließlich bestehen auch Anforderungen an die Qualitätssicherung:
Vorab-Testung der Fragen: MC-Fragen sollten vor dem Einsatz in der Prüfung auf Verständlichkeit und Fairness getestet werden (z. B. durch Probanden oder Fachkolleg*innen).
Regelmäßige Überprüfung: Die Fragen und das Bewertungssystem sollten regelmäßig evaluiert und angepasst werden, um sicherzustellen, dass sie aktuellen Standards und rechtlichen Vorgaben entsprechen.
Dokumentation: Die Erstellung und Bewertung der Fragen muss ausreichend dokumentiert werden, um eine spätere Überprüfung zu ermöglichen.
Erstellt von:
Zentrum Digitale Lehre
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